Der niederländische Komponist Simeon ten Holt (*1923) ist hierzulande leider eher unbekannt, in seiner Heimat gehört er zu den populärsten zeitgenössischen Komponisten. Sein bekanntestes Werk, der Canto Ostinato (1979), besitzt dort geradezu Kult-Charakter und wurde sogar mit einer goldene Schallplatte ausgezeichnet, einer höchst seltenen Ehrung für eine Aufnahme mit Musik eines zeitgenössischen Komponisten. Simeon ten Holt hat im Laufe seiner künstlerischen Laufbahn mit dem Canto Ostinato erst relativ spät, nach verschiedenen Experimenten mit diversen avantgardistischen Musikrichtungen, zur Minimal Music gefunden, ist ihr aber seitdem treu geblieben. Seine folgenden Kompositionen blieben beim Prinzip des Canto, bei dem die Interpreten (oder der Interpret) maximale Gestaltungsfreiheit hat. So ist der Canto in verschiedene Kompositions-Partikel („Sektionen“) unterteilt, die man frei kombinieren, wiederholen oder weglassen kann. Bei jeder Aufführung kann so (theoretisch) eine neue, gleichberechtigte Variante des Canto Ostinato entstehen, die gleichzeitig unverkennbar und doch neu ist.

Was in der Beschreibung überaus technisch klingt, ist in der Umsetzung alles andere als abstrakte Musik, die sich nur ein ein spezielles Publikum wendet, im Gegenteil: Simeon ten Holts Canto Ostinato spricht auch einer Hörerschaft an, das sich üblicherweise nicht mit ‚klassischer Musik‘ beschäftigt. So sollten Fans des frühen Mike Oldfield (Tubular Bells, Hergest Ridge) oder Keith Jarretts Imrprovisationsjazz à la The Köln Concert unbedingt einmal in den Canto hineinhören.

Auch bei der Wahl der Instrumente ließ ten Holt den Interpreten die freie Auswahl: Zunächst auf drei Klavieren und einer elektrischen Orgel uraufgeführt, gibt es heute zahlreiche Varianten. Kommendes Wochenende (14./15. April 2012) findet in Amsterdam zum wiederholten Male das Festival Canto Ostinato XL statt, bei dem sechs (!) verschiedene Fassungen des Canto aufgeführt werden, von der populären Fassung für Klavierduo, über Fassungen für Klavier(e) und Harfe, Klaviere und Orgel-Positiv, bis hin zu Fassungen mit zwei Klavieren, Harfe und Marimba.

Zentrale Figur dieses Festivals und generell zahlreicher Aufführungen des Canto Ostinato, ist der niederländische Pianist Jeroen van Veen, der sich seit Jahren als einer der renommiertesten Minimal-Music-Pianisten weit über die Grenzen der Niederlande hinaus einen Namen gemacht hat. Unter seiner Federführung ist die vorliegende Aufnahme des Canto Ostinato für vier Klaviere des international besetzten Piano Ensemble (bestehend aus Fred Oldenburg, Irene Russo, Jeroen van Veen und seiner Ehefrau Sandra van Veen) entstanden. In ihr steckt die gesamte Erfahrung eines eingespielten Musikerkollektivs, das sich seit Jahren intensiv mit dem Stück beschäftigt hat.

Nicht nur die Besetzung ist umfangreich, auch die Länge der Aufnahme überrascht: Auf 2 CDs sind insgesamt fast zweieinhalb Stunden Musik verteilt. Die Metamorphose des hypnotischen Stücks kann so bis in jede Nuance ausgespielt werden. Der Geniestreich ten Holts offenbart sich gerade hier: Obwohl die vier Pianisten ein geradezu das Werk geradezu episch mit zahlreichen Wiederholungen und minimalen Veränderungen ausbreiten, wird der Canto niemals langweilig oder wirkt wahllos, im Gegenteil: Dem Piano Ensemble gelingt es über die gesamte Spieldauer der Doppel-CD die innere Spannung des Stücks bis zum Finale aufrechtzuerhalten.

Dies ist eine exemplarische Einspielung, die wirklich viele CD-Sammlungen bereichern würde.

Hier noch das Promo-Video zum am Wochenende stattfindenden Canto-Ostinato-Festival:

Die Doppel-CD Simeon ten Holt – Canto Ostinato vom Piano Ensemble bestehend aus Fred Oldenburg, Irene Russo, Jeroen van Veen und Sandra van Veen ist am 30. März 2012 auf Brilliant Classics (9261) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.