Stanislav Suleimanov · Tatiana Monogarova · Moscow Forum Theatre Orchestra, Michail Jurowski: Alexander Knaifel – The Canterville Ghost

Alexander Aronovich Knaifel. Sortavala, August 1982 - Foto: © MeladinaKurz bevor die Weihnachtstage anbrechen, möchte ich mich heute am Vorabend der Weihnachtstage– sozusagen in guter alter angelsächsischer Tradition –  mit etwas ganz und gar Unweihnachtlichem beschäftigen: Oscar Wildes Erzählung „Das Gespenst von Canterville“ war nicht nur die Vorlage für zahlreiche Verfilmungen (die Bekannteste entstand 1944 mit Charles Laughton in der Rolle des Geistes), Hörspiele und Theaterstücke, sondern auch die Vorlage für eine Oper des russischen Avantgardisten Alexander Knaifel (*1943), der mit der Oper 1966 einen frühen Erfolg seiner Karriere feiern konnte, die dann aber aufgrund widriger Umstände nahezu in Vergessenheit geriet.

Knaifel gehört zur Gruppe sowjetischer Avantgardisten, die als sogenannte Chrennikows Sieben (neben Knaifel gehörten dazu auch Vyacheslav Artyomov, Edison Denisov, Sofia Gubaidulina, Elena Firsova, Dmitri Smirnov und Viktor Suslin) während des 6. Kongresses des sowjetischen Komponistenverbandes im November 1979 von dessen mächtigem Generalsekretär Tichon Chrennikow scharf kritisiert wurden. Er bezeichnete ihre Werke als »bar jedes musikalischen Gedankens, im Strom irrer Geräusche und Gekreische versunken, voll von Gebrabbel«. Was nach dieser Ächtung folgte, war ein Quasi-Berufsverbot und eine existenzielle Bedrohung der Komponisten, denen damit die Möglichkeit genommen wurde, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Pikant dabei: Mit einem ähnlich formulierten Frontalangriff hatte Chrennikow bereits im Jahre 1948 die Werke von Prokofiev, Shostakovich und Myaskovsky kritisiert und die Komponisten in Bedrängnis gebracht …

Moscow Forum Theatre Orchestra, Michail Jurowski: Alexander Knaifel – The Canterville GhostErst mit der Perestroika Gorbatschows konnten die Werke Knaifels und die der anderen Geächteten in der UdSSR wieder aufgeführt werden. Knaifels Oper “Das Gespenst von Canterville” nach der gleichnamigen Erzählung von Oscar Wilde wurde 1966 uraufgeführt und war einer der ersten Erfolge des damals 23-jährigen Komponisten. Die vorliegende Aufnahme der vom Komponisten erstellten gekürzten Fassung für zwei Sänger und Kammerorchester ist die einzige kommerzielle Einspielung der Oper, die jemals gemacht wurde. Sie entstand 1990 mit dem Moscow Forum Theatre Orchestra unter der Leitung von Michail Jurowski und erschien ursprünglich in der Reihe Salon Russe bei Harmonia Mundi. Sie war viele Jahre vergriffen und wird nun endlich in der Brilliant Opera Collection wiederveröffentlicht und erweist sich als überaus gelungene und kurzweilige Kammeroper.

In der Rolle des Gespenstes ist der schwermütig klagende Bass Stanislav Suleimanov zu hören; die Rolle der Virginia singt die auch im Westen bekannte Sopranistin Tatiana Monogarova, die seinerzeit auch das Libretto verfasste. Man muss kein Russisch können, um von der schaurig-effektvoll gestalteten Oper fasziniert zu sein. Die schroffe, perkussive und sehr reduzierte Tonsprache Knaifels wirkt auch ohne Textverständnis ziemlich eindeutig – und eindeutig heißt in diesem Fall eindeutig schaurig. Knaifel hat sich bei seiner Oper offenbar auch von einschlägigen Filmmusiken jener Zeit inspirieren lassen und so ist man als Zuhörer von Anfang an elektrisiert von einer unterschwellig aufgebauten Suspense-Atmosphäre, in die sich immer wieder plötzlich Tempi- und Dynamik-Wechsel entladen. Das lässt den Zuhörer ein ums andere Mal ordentlich zusammenzucken — aber wegen der morbiden Lust des Gruseln schaut man ja auch Horrorfilme.

Fazit: Für Freunde zeitgenössischer Opern, die vor gelegentlichen akustischen Schockeffekten nicht zurückschrecken (sic!) ist Knaifels „Gespenst von Canterville“ eine echte Entdeckung.

Hier noch zwei kurze akustische Impressionen:

Musik & Interpretation
Klangqualität
Cover & Booklet

Die CD Alexander Knaifel – The Canterville Ghost des Moscow Forum Theatre Orchestra unter der Leitung von Michail Jurowski ist am 30. November 2012 auf Brilliant Classics (9295) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.

Coro della Radio Svizzera · Sonatori de la Gioiosa Marca, Diego Fasolis: Johann Sebastian Bach – Mass in B minor (h-Moll-Messe)

Johann Sebastian BachDie h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach (1685-1750) gehört zweifelsohne zu den beeindruckendsten Werken der Musikgeschichte. Sie gilt als Quintessenz seines musikalischen Schaffens, gleichzeitig war das Werk seiner Zeit weit voraus: Der Komponist selbst hat die Messe vermutlich nie vollständig gehört (auch weil er mit dem Umfang die Möglichkeiten der lutherischen Liturgie überschritt); erst in den 1830er Jahren begann man eher zögerlich mit der Aufführung der vollständigen Messe. Felix Mendelssohn Bartholdy spielte bei der langsamen Erschließung und Popularisierung der Vokalwerke Bachs eine wichtige Rolle, doch erst im 20. Jahrhundert durch die epochalen Aufnahmen von Herbert von Karajan (1952/53 und 1973/74), Karl Richter (1961), Otto Klemperer (1967), Karl Münchinger (1970) und vor allem durch das Aufkommen der historisch-informierter Aufführungspraxis (mit den bekannten h-Moll-Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt, 1968; John Eliot Gardiner, 1985; René Jacobs, 1992; Philippe Herreweghe, 1997; Ton Koopman, 2007 usw.) setzte sich die h-Moll-Messe als Referenzwerk der abendländischen Vokalmusik endgültig durch.
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Gordon Fergus-Thompson: Claude Debussy – Complete Piano Music

Claude Debussy - Bild:  [PD] ; Quelle: G.-F. Tournachon, via Wikimedia CommonsAm 22. August jährt sich heuer zum 150. Mal der Geburtstag des französischen Komponisten Claude Debussy (1862-1918). Seine impressionistische Klangwelten sind als Bindeglied zwischen Romantik und der Moderne der Schlüssel zur harmonischen Erneuerung der Musik im 20. Jahrhundert. Dabei stand das Klavier im Zentrum seines Schaffens: Ein großer Teil seines Œuvres entstand für das Klavier.
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Rundfunkchor & Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig, Herbert Kegel: Johannes Brahms – Ein deutsches Requiem

Johannes BrahmsEigentlich sollte Ein Deutsches Requiem von Johannes Brahms (1833-1897) „Ein menschliches Requiem“ heißen und vielleicht wäre dies tatsächlich der geeignetere Name gewesen um auszudrücken, dass sich Brahms‘ Totenmesse primär nicht um das Seelenheil der Toten, sondern um die Auseinandersetzung der (Über-)Lebenden mit dem Tod dreht, „A Requiem for the Living“ wie das renommierte Gramophone-Magazine in einem aufschlussreichen Artikel über die verschiedenen Einspielungen überschrieb.
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Staatskapelle Dresden, Herbert Blomstedt: Beethoven – IX Symphonies

Ludwig van Beethoven (Gemälde von Karl Joseph Stieler, 1819)Meine musikalische Karriere als Klassikhörer begann vor über 30 Jahren, als ich gerade einmal in der 5. Klasse zum ersten Mal in meinem Leben Musikunterricht hatte, mit Ludwig van Beethoven (1770-1827), genauer gesagt mit jenem berühmten Anfangsmotiv der Sinfonie No. 5 in c-Moll, op. 67 (G – G – G – Es). Die vier Töne schlugen mich in ihren Bann. Was für Musik steckt hinter solch einer gewaltigen Ankündigung? Seit jenen ersten Gehversuchen, bei denen ich mich mit meinem Taschengeld in die Klassik-Abteilung des hiesigen großen Plattenladen traute, um mir eine preisgünstige LP eben jener Sinfonie zu kaufen (damals entschied allein der Preis und vielleicht noch das Cover meine Auswahl), sind viele Jahre vergangen. Die Sinfonien von Ludwig van Beethoven haben mich nie wieder losgelassen: Nach der Fünften folgte die Neunte, dann die Eroica, dann die Pastorale, dann die anderen Sinfonien Beethoven, später dann seine Klavierkonzerte, seine Streichquartette usw. Heute nimmt die Beethoven-Abteilung meiner CD-Sammlung den größten Raum ein. Neben der von mir sehr geschätzten Beethoven Complete Edition stehen noch unzählige Einzelaufnahmen, darunter insgesamt fünf Gesamtaufnahmen seiner Sinfonien im Regal – und das sind nur die Aufnahmen, die ich behalten habe.
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Orchestre National de l’ORTF, Jean Martinon: Camille Saint-Saëns – Complete Symphonies

Camille Saint-Saëns Camille Saint-Saëns (1835-1921) war einer der bedeutendsten und kreativsten Komponisten der französischen Romantik und übte, nicht zuletzt durch seine lange Lebens- und Schaffenszeit, direkt und indirekt Einfluss auf die folgenden Komponisten-Generationen in Frankreich aus, die ihn entweder bewunderten oder sich an seinem ‚altmodischen‘ Stil rieben: So oder so kamen sie aber am Pariser Pianisten, Organisten, Musikwissenschaftler, Musikpädagogen und Komponisten zahlreicher Werke nicht vorbei.

Camille Saint-Saëns schrieb zahlreiche Orchesterwerke (überhaupt war er ein überaus produktiver Komponist), von denen nur ein Bruchteil heute noch bekannt sind: Neben der Suite Der Karneval der Tiere bzw. Le carnaval des animaux (und der Oper Samson et Dalila) hat vor allem seine Sinfonie No. 3 in c-Moll op. 78, der sogenannten „Orgelsinfonie“ von 1886 den Zahn der Zeit unbeschadet überstanden.
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