Nein, natürlich schrieb Antonio Vivaldi (1678–1741) keine Konzerte explizit für die Panflöte. Zwar gehört die Panflöte zu den ältesten bekannten Instrumenten, das auch in Varianten in Südosteuropa seit vielen Jahrhunderten als volkstümliches Instrument verbreitet ist, in der europäischen Kunstmusik taucht die Panflöte zunächst nur als Accessoire auf (etwa in der „Zauberflöte“). Erst Mitte des 20. Jahrhunderts, durch den Einfluss der rumänischen Folklore, taucht die Panflöte vermehrt im Konzertsaal auf.
Auch wenn also Vivaldi vermutlich die heute übliche Panflöte nicht kannte, fügt sich die Panflöte erstaunlich gut zur Musik des Venezianers ein. Der Zusammenhang von Atmung und Intensität bei der Tonerzeugung passt hervorragend zur improvisatorisch wirkenden, lebensfrohen und pulsierenden Musik Vivaldis. Der wandelbare Klang der Panflöte unterstreicht den pastoralen und natürlichen Charakter seiner Musik.
Der Schweizer Panflöten-Virtuose Hanspeter Oggier hat mit dem Ensemble Fratres einige der populärsten und suggestivsten Flötenkonzerte Vivaldis aufgenommen, darunter „La Notte“ (zu Deutsch: Die Nacht) und „Il gardellino“ (Der Distelfink). Wer jetzt einen seichten Light-Classics-Sound erwartet, der sieht sich bereits bei den ersten Takten widerlegt. Oggier und das Schweizer Originalinstrumente-Ensemble spielen authentischen Vivaldi. Die Flötenparts aus den hier zusammengefassten Flötenkonzerten wurden notennah und sehr behutsam an das Timbre des Instruments angepasst. Das Ergebnis überzeugt, auch weil sich Oggier als virtuoser, aber unaufdringlicher Solist erweist, der sich gut in den Ensembleklang einfügen kann.
Die eigentliche Überraschung des Albums ist allerdings das phänomenale Ensemble Fratres, das sich keineswegs mit der Rolle der bloßen Begleitung Oggiers zufrieden gibt. Sie erweisen sich als lebhaft pulsierender, selbstbewusster und ausdrucksstarker Klangkörper, der Vivaldis Musik inspiriert umsetzt. Bei den zwischen die Adaptionen geschobenen Konzerte (ohne Panflöte) für zwei Violinen RV 522 und für zwei Violinen und Cello RV 565 zeigt das Ensemble aus Lausanne sein ganzes Können und empfiehlt sich nachhaltig für weitere Vivaldi-Aufnahmen.
Fazit: Ein hochwertiger Beitrag zur aktuellen Vivaldi-Diskografie. Sowohl Hanspeter Oggier als auch das Ensemble Fratres erweisen sich als versierte Vivaldi-Experten ersten Ranges.
Die CD Antonio Vivaldi: Panflute Concertos von Hanspeter Oggier und dem Ensemble Fratres ist am 1. Mai 2015 auf Brilliant Classics (95078) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.