Valerio Losito: Various Composers – Viola d’amore solo

Gast-Rezension von Rainer Aschemeier, Autor des Musikblogs The Listener. Die vollständige Besprechung kann man dort finden.

Kurz vor Toresschluss hält das Jahr 2012 noch einmal ein Highlight für uns bereit, das sich wahrlich gewaschen hat. Mit „Viola d’amore solo“ erschien im Dezember bei Brilliant Classics eine so wunderschöne neue CD-Produktion, dass ich aus dem Jubeln schier gar nicht mehr herauskommen möchte.

Valerio Losito: Various Composers – Viola d’amore soloDer italienische Virtuose und Alte-Musik-Spezialist Valerio Losito ist normalerweise Violinist im Barockorchester der Europäischen Union (ja, so etwas gibt es!). Hier jedoch tritt er als Viola d’amore-Solist mit einem ausgesuchten und geradezu unwirklich schönen Soloprogramm auf. Natürlich sind auf dieser CD auch die beiden bekannten Viola d’amore-Suiten des Barockmeisters Christian Petzold enthalten; sie gelten ja als so etwas wie das kleine Viola d’amore-Pendant zu Bachs Cello-Suiten. Doch die eigentlichen Highlights bilden Kompositionen anonymer Meister, deren Name im Dunkel der Musikgeschichte nicht mehr festgestellt werden konnte.

Dabei hat Losito offenbar bewusst darauf geachtet, dass seine Auswahl solche Musikstücke betrifft, welche die instrumentalen Besonderheiten der Viola d’amore auch besonders schön zur Geltung kommen lassen. Viola d'amore - Foto: von Frinck51, Lizenz: [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)]Hierbei soll einmal kurz auf ebenjene Besonderheiten eingegangen werden: Die Viola d’amore ist im Prinzip eine Bratsche, jedoch mit sechs statt vier Spielsaiten und noch bis zu acht zusätzlichen Resonanzsaiten, die von der Schnecke am Kopf des Instruments hinter dem Griffbrett abwärts führen. Sie werden nicht vom Bogen gestrichen, sondern sie klingen lediglich resonierend, nämlich immer dann, wenn die Frequenz eines aktiv gespielten Tons auch die entsprechende Resonanzsaite zum Mitschwingen anregt. Der dabei entstehende Effekt ist ein ‚metallischer‘, leicht ‚knarzender‘ Klang, der zuweilen dem einer Drehleier oder Nyckelharpa (= Schlüsselfidel) nicht unähnlich ist. Das Instrument klingt also sehr viel ‚körperreicher‘ als eine ’normale‘ Bratsche, was die Zeitgenossen im Barock zu der Umschreibung „Viola d’amore“ veranlasste, weil man den voluminösen Klang des Instruments als besonders lieblich empfand.

Valerio Losito weiß um die klanglichen Möglichkeiten seiner Ferdinando Gagliano-Viola d’amore aus dem 18. Jahrhundert und reizt sie auf dieser CD voll aus. Dabei muss man sich gar nicht fragen, ob er dabei vielleicht hier und da mal etwas zu weit geht, wenn er den Klang seines Instruments bewusst in besonders effektvolle Bereiche zu lenken versteht. Man muss sich auch gar nicht fragen, ob der bewusst üppig gewählte Raumhall, den Tonmeister Canio Giuseppe Famularo dem Solisten hier „auf den Leib“ zaubert, tatsächlich einen realistischen Klangeindruck wiedergibt oder ebenfalls vor allem der besonderen Betonung eines bestimmten Klangeffekts dient.

Man muss eigentlich nur eines: Sich fallen lassen! Wow! Was für eine wunderschöne CD! Was für eine wunderschöne Klangarchitektur kommt hier zum Tragen!

Sollen trockene Akademiker doch anderswo ihre Viola d’amore-Tondokumente herholen. Ich für meinen Teil finde dieses hier absolut perfekt – und das in jeder Hinsicht: Der Solist ist erstklassig mit Extra-Sternchen, das Instrument ist irrwitzig klangschön, und der Sound ist ein HiFi-Genuss pur (aufgenommen mit aus natürlichen Gründen so üppigem Raumhall in einem Raum mit ovalem (!) Querschnitt in der Kirche eines Klosters nahe Rom, wie uns das Booklet aufklärt).

(…)

Hier noch ein Klangbeispiel von unserer Soundcloud-Seite:

Rainer Aschemeier ist freier Autor und Redakteur in Weinheim an der Bergstraße; er arbeitet unter anderem als freier Musikredakteur für die Brockhaus-Enzyklopädie, war mehrere Jahre Fachlektor für Musikwissenschaft und Naturwissenschaften bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt. Journalistisch schreibt er u. a. für „crescendo – das Klassikmagazin“ und seinen eigenen Blog www.the-listener.de, bei dem er seit 2003 vor allem dem sogenannten „Nischenrepertoire“ einen Platz in der ersten Reihe einräumt.

Musik & Interpretation
Klangqualität
Cover & Booklet

Die CD Viola d’amore solo von Valerio Losito ist am 30. November 2012 bei Brilliant Classics (94367) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.

Inhalt:

  1. Anonymous – Ave Maris Stella
  2. Anonymous (Österreich, Ende des 17. Jahrhunderts) – Suite in d-Moll
  3. Giuseppe Colombi (1635-1695) – Scordatura in G-Dur
  4. Giuseppe Colombi (1635-1695) – Scordatura (Ciacona)
  5. Angelo Morigi (1725-1801) – Capriccio & Menuet in A-Dur
  6. Anonymous (Deutschland/Österreich, Beginn des 18. Jahrhunderts) – Partita in D-Dur
  7. Giuseppe Colombi (1635-1695) – Scordatura in A-Dur
  8. Anonymous – Nitida stella
  9. Christian Petzold (1777-1733) – Partita in F-Dur
  10. Pedro Lopes Nogueira (Mitte 18. Jahrhundert) – Gaita de folle
  11. Christian Petzold (1777-1733) – Partita in A-Dur
  12. Giuseppe Colombi (1635-1695) – Scordatura in e-Moll

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