Pieter-Jan Belder: Domenico Scarlatti – Complete Keyboard Sonatas

Domenico ScarlattiDer Komponist Domenico Scarlatti (1685-1757) kam im italienischen Neapel zur Welt und wurde von seinem berühmten, einflussreichen Vater Alessandro Scarlatti ausgebildet. Nachdem er zunächst Italien mit seinem Vater bereiste, verbrachte er den größten Teil seiner Karriere am spanischen und portugiesischen Hof. Dies war für italienische Komponisten des Barocks nichts ungewöhnliches: Italienische Musik und Musiker waren damals in ganz Europa en vogue. Als der vielleicht beste und originellste Cembalist aller Zeiten lag der Schwerpunkt seiner Kompositionen naturgemäß auf den Tasteninstrumenten, für die er insgesamt 555 Sonaten schrieb. Wie kein anderer Komponist seiner Generation verstand es Scarlatti, die regionalen Gepflogenheiten seines jeweiligen Aufenthaltsortes in seine Werke mit einfließen zu lassen, ohne seinen Personalstil dabei aufzugeben. Gleichzeitig entwickelte er Zeit seines Lebens seine Kompositionstechnik weiter und passte sich der veränderten Ästhetik seiner Arbeitgeber und der Epoche, nicht zuletzt auch der sich verändernden Instrumente an. Scarlatti blieb Zeit seines Lebens up-to-date: Sind die frühen Sonaten noch stark von den Rhythmen spanischer Volkstänze in spätbarocker Ausführung geprägt, so weisen seine späten Sonaten bereits alle wesentlichen Stilmerkmale der Frühklassik auf und dienten den nachfolgenden Generationen als Vorlage.

Mehr noch: Scarlattis phantasievolle Ideen und innovative Neuerungen brachten ihm die Bewunderung auch späterer Generationen von Pianisten und Komponisten wie Frédéric Chopin, Johannes Brahms, Béla Bartók, Dmitri Shostakovich, Vladimir Horowitz, Emil Gilels, Arturo Benedetti Michelangeli und Marc-André Hamelin ein.

Pieter-Jan Belder: Domenico Scarlatti - Complete Keyboard SonatasDer niederländische Cembalist, (Forte-)Pianist und Scarlatti-Experte Pieter-Jan Belder hat zwischen 2000 und 2007 sämtliche Sonaten Scarlattis aufgenommen. Um historisch möglichst nah am Klangideal der Vorlagen zu bleiben, spielte er die Werke auf jenen Instrumenten ein, die auch zur Entstehungszeit gespielt wurden: Neben verschiedener (Nachbauten von) Cembali der Epoche, wählte Belder für geeignete Kompositionen auch Orgeln und frühe Fortepianos (bzw. Nachbauten solcher) aus. Das sorgt für mehr Abwechslung beim Anhören und vermittelt außerdem einen exzellenten Eindruck davon, wie diese Sonaten zu Lebzeiten Scarlattis auf unterschiedlichen Instrumenten geklungen haben. Bei einigen Sonaten für Cembalo, Violine und Cello wird er von Rémy Baudet (Barock-Violine) und Frank Wakelkamp (Barock-Cello) unterstützt. Auch diese Handvoll Sonaten in Triobesetzung tragen sehr zur Auflockerung des umfangreichen Materials bei.

Pieter-Jan Belder überzeugt nicht nur durch die perfekte Beherrschung der verwendeten Instrumente, es ist auch die Sorgfalt, mit der er sich jeder einzelnen Sonate gewidmet hat, die dieses Mammutprojekt auszeichnen. Diese Box ist beileibe nicht nur eine Fleißarbeit, sondern ein durch und durch durchdachtes und inspiriert umgesetztes Konzept. Belder glänzt als Virtuose, Musikwissenschaftler und als geschmackssicherer Interpret. Was sich beim ersten oberflächlichen Durchhören als ähnlich anhört (kein Wunder bei der Vielzahl an Werken, die nach ähnlichen Prinzipien aufgebaut sind!), erweist sich bei genauerem Hinhören als fantasievoller Facettenreichtum. Auch das Klangbild der verwendeten Instrumente – Belder verwendete für die Aufnahmen alleine rund ein Dutzend verschiedener Cembali – ist er-hör-bar. Niemand wird die 555 Sonaten von vorne bis hinten in einem Zug durchhören (oder doch?), aber wenn man sich nur ein wenig in die Klangwelt Scarlattis einlässt, gibt es hier viele Kleinigkeiten zu entdecken.

Die 36-CD-Box war seit der Erstveröffentlichung 2007 lange ausverkauft und wurde nun wegen der starken Nachfrage endlich wieder aufgelegt. Kein Wunder: Trotz der gesteigerten Aufmerksamkeit mit der man sich in den letzten Jahren Scarlatti gewidmet hat, handelt sich hierbei um eine quasi konkurrenzlose Gesamteinspielung sämtlicher Sonaten (es gibt nur noch eine weitere Gesamteinspielung), sowohl editorisch, als auch interpretatorisch. Das aufschlussreiche, 20-seitige Booklet enthält ausführliche Informationen (auf Englisch) zum Komponisten, den Werken, den ausgewählten Instrumenten und dem Interpreten.

Um es mit einem Wort zusagen: Referenzaufnahme.

Musik & Interpretation
Klangqualität
Cover & Booklet

Die 36-CD-Box Domenico Scarlatti – Complete Keyboard Sonatas von Pieter-Jan Belder ist am 31. Mai 2012 bei Brilliant Classics (94259) wiederveröffentlicht worden und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie→ amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.

2 Gedanken zu „Pieter-Jan Belder: Domenico Scarlatti – Complete Keyboard Sonatas

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