Der österreichische Komponist Franz Schubert (1797-1828) ist wohl das wichtigste Bindeglied zwischen der Wiener Klassik und der Romantik. Ausgehend von den kompositorischen Archetypen der Klassik experimentierte er gerne mit freieren Formen, die die erstarrten Gepflogenheiten der Wiener Tradition aufbrachen. Mit seiner Pionierarbeit, die zeit seines Lebens von seinen Zeitgenossen weitgehend unbeachtet bleiben sollte, machte er den Weg frei für die folgenden Generationen romantischer Komponisten, die flexibler als je zuvor mit den Formen und Besetzungen in der Kammermusik experimentieren konnten.

Trotz seiner relativ kurzen Schaffenszeit hinterließ Schubert ein umfangreiches Œuvre, das quasi alle Gattungen abdeckt: Er schrieb über 600 Lieder mit Klavierbegleitung und zahlreiche weitere Chorlieder und -gesänge, außerdem Singspiele und Opern, mehrere Messen, zwölf Sinfonien (davon fünf unvollendet) und zahlreiche weitere Orchesterstücke, ein umfangreiches Werk für Klavier und etliche kammermusikalische Kompositionen, unter anderem 15 Streichquartette, ferner Fragmente und Einzelsätze in verschiedenen Besetzungen. Überhaupt ist es auffällig, wie groß die Anzahl an Fragmenten ist, die Schubert hinterließ. Möglicherweise ist dies als Hinweis zu deuten, dass der die Öffentlichkeit scheuende Komponist noch lange am Ende seiner musikalischen Entwicklung angelangt war und viele Ideen beiseite gelegt wurden, um vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt ‚weitergedacht‘ zu werden …

Das Münchener Diogenes Quartett (Stefan Kirpal, Violine; Gundula Kirpal, Violine; Julia Barthel, Viola; Stephen Ristau, Violoncello) ist eines der unbestritten besten deutschen Kammermusik-Ensembles der jüngeren Generation. So urteilte etwa die Süddeutsche Zeitung »Es muss ein Glücksfall sein, der diese vier jungen Musiker zu einem Ensemble zusammengeführt hat«. Das Quartett legt nun seine zweite Produktion für Brilliant Classics vor: Zuvor hatten Sie bereits die von der Kritik hochgelobte Einspielung der Klavierquartette von Friedrich Gernsheim (Brilliant Classics 93997) mitgestaltet und CDs bei cpo und Cavalli Records veröffentlicht.

Nun erscheint der erste Teil einer geplanten Gesamteinspielung sämtlicher Streichquartette Schuberts: Eine hehre Aufgabe, der sich die vier Münchener Musiker stellen, gibt es doch relativ wenige Gesamteinspielungen der Streichquartette (gemessen an den Aufnahmen anderer bedeutender Komponisten). Die meisten Ensembles beschränken sich auf die ’späten‘ Quartette Nos. 12 – 15, nicht so das Diogenes Quartett. Auf der ersten CD ihrer „Franz Schubert – Complete String Quartets“ befindet sich neben dem Streichquartett No. 7 in D-Dur, D 94 und dem Andante in C-Dur, D 3 auch das bekannte “Rosamunde-Quartett” in a-Moll, D 804, dem einzigen Streichquartett Schuberts, dessen öffentliche Uraufführung er selbst miterleben konnte.

Die vier Münchener Musiker spannen damit einen Bogen zwischen dem ‘Teenager’ Schubert des Quartetts in D-Dur, das neuester Forschung nach etwa 1811/12 als zweites Streichquartett entstand (das Datieren und Nummerieren von Schubert-Werke ist wegen der Vielzahl an undatierten und unveröffentlichten Werken besonders schwer), bis zum ausgereiften Schubert des Quartetts in a-Moll von 1824.

Es steckt viel Hingabe in der Umsetzung des Diogenes Quartetts, echte Hingabe und echte Inniglichkeit, kein aufgesetzter, romantisierender Pathos, im Gegenteil: Zurückhaltend, mit viel Liebe zum Detail und gerade in den langsamen Sätzen geradezu schwerelos, widmen sich die vier exzellenten Kammermusiker mit aller Sorgfalt nicht nur dem bekannten Rosamunde-Quartett, sondern auch den beiden Frühwerke des 14/15-jährigen Schuberts. Sie offenbaren einen jugendlichen Schubert, der zwar noch nicht über die kompositorischen Feinheiten des zwölf Jahre älteren erwachsenen Schubert verfügt, der aber auch schon bei seinen ersten Gehversuchen in Sachen Kammermusik erstaunlich schlüssige Ergebnisse erzielt, die keinesfalls auf sein Alter schließen lassen. Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Teil dieser Reihe: Das Diogenes Quartett präsentiert sich als idealer Klangkörper für Schuberts Streichquartette.

Die exzellent klingenden Aufnahmen entstanden im Juli 2012 in der Himmelfahrtskirche in München‐Sendling. Das Booklet enthält zweisprachige Anmerkungen (auf Englisch und Deutsch) zu den Werken sowie eine Künstlerbiographie.

Die CD Franz Schubert – Complete String Quartets Vol. 1: String Quartet D 804 ‘Rosamunde’ · String Quartet D 94 · Andante D 3 des Diogenes Quartet ist am 26. Oktober 2012 auf Brilliant Classics (94315) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.

Inhalt:

1. Streichquartett No. 7 in D-Dur, D 94 (1811/12)
2. Andante in C-Dur, D 3 (1812?)
3. Streichquartett o. 13 in a-Moll „Rosamunde-Quartett“, D 804 (1824)