Ensemble Seicentonovecento, Flavio Colusso – Giacomo Carissimi: Oratorios

Giacomo CarissimiAuch wenn der Name Giacomo Carissimi (1605-1674) nicht mehr ganz so geläufig ist, so war der Römer zu Lebzeiten ein einflussreicher Komponist und Lehrer, unter anderem von  Alessandro Scarlatti, Antonio Cesti und Marc-Antoine Charpentier. Carissimis Schaffen hinterließ in ganz Europa seine Spuren. Als erster bedeutender Komponist war er an der stilbildenden Typisierung und Verbreitung der seinerzeit neuen Gattung des Oratoriums maßgeblich beteiligt. Folgende Komponisten-Generationen von Händel bis Mendelssohn sollten Carissimis 25 Oratorien als Richtschnur für ihr eigenes Schaffen nehmen.

Nunzia Santodirocco · Sara Allegretta · Francesco Sclaverano · Aurio Tomicich · Ensemble Seicentonovecento, Flavio Colusso - Giacomo Carissimi: OratoriosDie Aufnahmen der vorliegenden 9-CD-Box fassen sämtliche Oratorien Carissimis, die 23 lateinischen und die beiden italienischsprachigen, zu einer einmaligen Gesamtaufnahme zusammen. Viele davon liegen hier in ihrer Weltersteinspielung vor. Aufgenommen wurden sie in den Studios der italienischen Rundfunkanstalt RAI vom Ensemble Seicentonovecento unter der Leitung des Komponisten, Regisseurs (!) und Dirigenten Flavio Colusso, der auch für die Revision und Edition der meisten Oratorien verantwortlich ist. Eine Reihe hierzulande eher unbekannter, aber nichtsdestoweniger erstklassiger italienischer Sänger verleihten der Mammutproduktion buchstäblich ihre Stimme. Besonders eindrucksvoll tun dies die Sopranistinnen Nunzia Santodirocco, Alla Simonichvili und Patrizia Pace (geradezu himmlisch als Engel in „Historia di Job“), der Tenor Francesco Sclaverano, der Countertenor Jean Nirouët und der Bass Aurio Tomicich.

Statt protestantischer, imposanter Strenge (wie man sie von den späteren deutschen Passionsoratorien von Buxtehude, Händel, Telemann und Bach kennt), zeichnet sich das Oratorium bei Carissimi noch durch Kürze und bemerkenswerte Melodiehaftigkeit aus. Wen wundert’s, entstanden doch die ersten Oratorien Ende des 16. Jahrhunderts als Gegenbewegung zum rückwärtsgewandten Trienter Konzil. Sie etablierten sich neben den lateinischen Gottesdiensten zunächst als volkssprachliche, volksnahe Ergänzung. Carissimi blieb dieser Tradition in seinen Werken treu. Selbst in den lateinischen, die bald „mit offiziellem Auftrag“ entstanden, bleibt der Geist der Einfachheit (kleine Besetzung, kurze Spielzeit, einfache Handlung) erhalten.

Die Produktion wurde Ende der 1990er Jahre ursprünglich beim kleinen italienischen Label Musicaimmagine veröffentlicht. Ein 16-seitiges Booklet informiert einführend (auf Englisch) über alle in der Box zusammengefassten Werke. Die gesungene Texte sind zwar nicht im Libretto enthalten, können aber auf der Produktseite der Brilliant Classics Homepage als PDF heruntergeladen werden (auf „Download booklet“ klicken). Dort findet man auch eine detaillierte Tracklist.

Fazit: Eine sowohl quantitativ als auch qualitativ substantielle Bereicherung der Carissimi-Diskografie. Mit Sachkenntnis aber auch mit unverkrampfter Freude am Musizieren haben Flavio Colusso und sein Ensemble einen vollständigen Zyklus der Oratorien Carissmis geschaffen, der durch Natürlichkeit und Klangschönheit überzeugt. So schlicht und gleichzeitig dabei so überirdisch anmutig wie bei Carissimi war die geistliche Musik des Barocks nie wieder.

Musik & Interpretation
Klangqualität
Cover & Booklet

Die 9-CD-Box Giacomo Carissimi: Oratorios des Ensemble Seicentonovecento unter der Leitung von Flavio Colusso ist am 3. Januar 2013 auf Brilliant Classics (94491) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.

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