Rudolf Barshai conducts Russian Music – Shostakovich, Weinberg, Boris Tchaikovsky, Prokofiev, Meerovich, Karen Khachaturian, Lokshin

Rudolf Barshai - Foto: (CC BY-SA 3.0) Vovuska; Quelle: wikipedia.orgKaum ein anderer Dirigent ist so eng mit dem Œuvre von Dmitri Shostakovich (1906-1975) und dem Dunstkreis seiner Komponisten-Freunde wie Mieczysław Weinberg (1919-1996) und Boris Tchaikovsky (1925-1996) verbunden wie Rudolf Barshai (1924-2010). Als Gründungsmitglied des Borodin-Quartetts (bei dem er Viola spielte und einige Streichquartette Shostakovichs uraufführte), vor allem aber als Leiter des Moskauer Kammerorchesters trug Barshai seit den 1950er Jahren im wesentlichen Maße zur Verbreitung der sowjetischen Musik im eigenen Land und im westlichen Ausland bei. Nach seiner Emigration 1977 führte er dieses Lebenswerk mit dem Israeli Chamber Orchestra, dem Bournemouth Symphony Orchestra, dem London Symphony Orchestra, dem Royal Philharmonic Orchestra, dem WDR Sinfonieorchester Köln und zahlreichen anderen namhaften Orchestern weltweit weiter. Mit seinem Tod 2010 starb der letzte und kompetenteste Interpret der Musik Shostakovichs, der mit dem Komponisten freundschaftlich eng verbunden war.

Rudolf Barshai - The Russian ArchivesBei Brilliant Classics ist nun in der Reihe „The Russian Archives“ eine 3-CD-Box erschienen, die Barshais wichtigste Radioaufnahmen sowjetischer Musik mit dem Moskauer Kammerorchester aus den Jahren 1959 – 1974 zusammenfasst. Darunter befinden sich Highlights wie eine nur wenige Tage nach der Uraufführung entstandene Aufnahme der Sinfonie No. 14, op. 135 von Shostakovich, eine Aufnahme der von Shostakovich autorisierten Bearbeitung Barshais für Kammerorchester seines Streichquartetts No. 10 in As-Dur (als Kammersinfonie für Streichorchester, op.118a), Barshais Orchestrierung der Visions fugitives, op. 22 von Sergei Prokofiev (1891-1953), seltene Aufnahmen der fürs Moskauer Kammerorchester geschriebenen Kammersinfonien von Weinberg und Boris Tchaikovsky (übrigens nicht verwandt oder verschwägert mit dem ungleich berühmteren Pyotr Illyich Tchaikovsky) und Raritäten von heute fast vergessenen Komponisten wie Jaan Rääts (*1932), dem hauptsächlich als Filmmusik-Komponist bekannt gewordenen Mikhail Meerovich (1920-1993), Karen Khachaturian (1920-2011, Neffe von Aram Khachaturian) und dem als KGB-Informant diffamierten Komponisten Alexander Lokshin (1920-1987).

Freilich: Die Tonqualität der Live-Aufnahmen lässt sich nicht immer mit jener moderner Hifi-Aufnahmen vergleichen, andererseits klingen die Mitschnitte wirklich gut genug, um einen exzellenten Eindruck von der Spielfreude und der Leidenschaft des Moskauer Klangkörpers zu bekommen. Die Bearbeitungen Barshais (Shostakovich, Prokofiev) erweisen sich als kongeniale Orchestrierungen, die dem Klangkörper geradezu auf den Leib geschrieben wurden. Die eigentliche Überraschung sind aber die unbekannteren Werke: Mieczysław Weinberg und Boris Tchaikovsky werden ja in den letzten Jahren verstärkt als überaus eigenständige Stimmen aus dem Umfeld Shostakovichs wahrgenommen, aber die abschließende Sinfonie No. 7 mit Versen alter japanischer Dichtung von Alexander Lokshin (1972) ist in ihrer behutsamen Orchestrierung und intimen Tonsprache ein Meisterwerk, das schon alleine die Anschaffung dieser überaus preisgünstigen 3-CD-Box rechtfertigt und unbedingt mehr gehört werden sollte. Glücklicherweise ist dieser Mitschnitt von 1974 die am besten klingende Aufnahme der Sammlung.

Eine lohnenswerte Anschaffung für alle Freunde der russischen Musik des 20. Jahrhunderts und ein authentischer, umfassender Überblick über die Westen zu Unrecht als zweidimensional dargestellten Musik der Sowjetunion. Neben den berühmten Werken Shostakovichs und Prokofievs überzeugen vor allem die Werke von Mieczysław Weinberg, Boris Tchaikovsky und dem Esten Jaan Rääts. Alexander Lokshins siebte Sinfonie steht Shostakovichs thematisch ähnlich gelagerte 14. Sinfonie in puncto Intensität und Expressivität in nichts nach. Das Booklet der schlicht gestalteten Box informiert (auf Englisch) einführend über alle Komponisten und Kompositionen.

Fazit: An Rudolf Barshai kommt in Sachen sowjetische Musik des 20. Jahrhunderts niemand vorbei.

Musik & Interpretation
Klangqualität
Cover & Booklet

Die 3-CD-Box Rudolf Barshai conducts Russian Music ist am 27. April 2012 auf Brilliant Classics – The Russian Archives (9286) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.

Inhalt:

  1. Dmitri Shostakovich – Sinfonie No. 14, op. 135 (mit Galina Vishnevskaya, Sopran; Mark Reshetin, Bass)
  2. Mieczysław Weinberg – Sinfonietta No. 2 in a-Moll, op. 74
  3. Dmitri Shostakovich – Kammersinfonie für Streichorchester in As-Dur, op.118a (Orch. R. Barshai)
  4. Dmitri Shostakovich – Präludium und Fuge No. 20 in c-Moll, op. 87 (Orch. R. Barshai)
  5. Dmitri Shostakovich – Präludium No. 8 in fis-Moll, op. 87 (Orch. R. Barshai)
  6. Jaan Rääts – Concerto für Streicher, op. 16
  7. Boris Tchaikovsky – Kammersinfonie für Streichorchester
  8. Sergei Prokofiev – Visions fugitives, op. 22 (Orch. R. Barshai)
  9. Sergei Prokofiev – Musik für Kinder, op. 65 – III. Märchen
  10. Mikhail Meerovich – Serenade für Kammerorchester
  11. Karen Khachaturian – Cellosonate – III. Aria: Andante
  12. Alexander Lokshin – Sinfonie No. 7 mit Versen alter japanischer Dichtung (mit Nina Grigorieva, Alt)

Moskauer Kammerorchester, Rudolf Barshai

Weitere Infos zur Edition und genaue Angaben zu den einzelnen Titeln der 3-CD-Box findet man auf der englischsprachigen Produktseite:

http://www.brilliantclassics.com/release.aspx?id=FM00411533

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