Der italienische Komponist, Pianist, Musikverleger und Klavierbauer Muzio Clementi (1752–1832) gilt heutzutage mit einiger Berechtigung als “Vater des Pianoforte”; sein Beitrag als Komponist, Pianist, Verleger und Klavierbauer zum Siegeszug des neuartigen Tasteninstruments im späten 18. Jahrhundert ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Bereits als 14-Jähriger wurde sein Talent von einem britischen Mäzen entdeckt, der ihn adoptierte und in England gründlich ausbilden ließ. Als junger Mann ließ sich Clementi in London nieder, wo er mit großem Erfolg am lokalen Konzertleben als Pianist teilnahm. Ermutigt von diesen Erfolgen, begab er sich in den 1780er Jahren auf eine ausgedehnte Konzertreise durch die europäischen Kulturmetropolen, die ihn an die bedeutenden Höfe in Paris, München, Salzburg und Wien führen sollte. Weitere ausgedehnte Tourneen sollten in den folgenden Jahrzehnten folgen, die seinen Ruhm als Ausnahme-Virtuosen festigten. Parallel zu seiner Karriere als Musiker betätigte er sich außerdem auch mit der ‚geschäftlichen Seite‘ seines Metiers als Musikverleger und als Klavierbauer — und in zunehmendem Maße als Komponist. Als solcher schrieb er hauptsächlich Werke für sein Instrument, aber auch Orchester- und Vokalwerke.
Auch wenn Clementis Œuvre heute zu weiten Teilen unbeachtet bleibt, übten vor allem seine Klaviersonaten einen immensen Einfluss auf die jüngere Generation seiner Zeit aus, etwa auf das Klavierwerk des jungen Beethoven. Mehr noch: Als Komponist und Musikpädagoge legte Clementi den Grundstein für die kommenden Generationen virtuoser Komponisten wie Chopin, Liszt und Mendelssohn.
In den letzten fünf Jahren nahm der italienische Fortepiano-Spezialist Costantino Mastroprimiano für Brilliant Classics sämtliche Klaviersonaten Clementis auf historischen Instrumenten auf, die zunächst in fünf Ausgaben à drei CDs erschienen (die sechste und letzte Ausgabe mit Clementis Spätwerk erscheint im Dezember 2012). Die Kritik lobte (zurecht) Mastroprimianos »flüssige, brillante Technik« und seinen »sensiblen Ausdruck«.
Nun gibt es sämtliche Clementi-Aufnahmen Mastroprimianos (natürlich auch die bisher noch unveröffentlichten Ausgabe) in einer schlicht gestalteten Box mit einem 18-seitigen (englischsprachigen) Booklet, das ausführlich über die verschiedenen Entwicklungsstufen in Clementis Werk, aber auch über die Auswirkungen des stetig verbesserten Klaviers der frühen Jahre auf die Kompositionen und über Mastroprimiano selbst informiert.
Clementis Gesamtwerk für Klavier erfordert einiges Einfühlungsvermögen und technisches sowie musikhistorisches Verständnis. Schließlich entstanden die Werke in einer Zeit schnell wandelnder musikalischer Moden und sich rasant entwickelnder neuer Spieltechniken, die den Weg vom Cembalospiel zum modernen Klavierspiel ebneten. Mastroprimiano gelingt es mit exzellenter Technik und bemerkenswerten Intuition in seinen Interpretationen das Wesen der Werke aufzuspüren und sie in den exakt richtigen musikhistorischen Kontext zu setzen — auch Dank der Auswahl an authentischen Instrumenten, darunter zahlreiche exzellent erhaltene Originale aus der bekannten Edwin-Beunk-Sammlung wie einem Kirkman-Fortepiano aus dem späten 18. Jahrhundert oder einem Clementi-Fortepiano von 1826, auf denen die Aufnahmen eingespielt wurden.
Costantino Mastroprimiano trifft stets den richtigen Ton, bei den frischen, frühklassischen Werken aus Clementis Jugend, bei den ausgereift klassischen Sonaten seiner Hochphase der 1780er und 1790er Jahre, die deutlich machen, warum Clementi für die Pianisten der nachfolgenden Generation so stilprägend war und bei den frühen romantischen Ansätzen in seinem Spätwerk, die belegen, dass Clementis schöpferische Kraft zwar noch nicht versiegt war, die aber auch nachvollziehbar macht, dass Clementi in den 1820ern längst von seinen Nachfolgern in punkto Wagemut und Innovation überholt worden war.
Fazit: Eine unverzichtbare Sammlung für alle Klavierfreunde, die verstehen möchten, warum das Klavier binnen weniger Jahre seinen Siegeszug als Soloinstrument antrat (und das Cembalo verdrängte) und wie heute vertraute Schemata der Klaviersonate entstanden sind.
Die 18-CD-Box Muzio Clementi – Complete Sonatas for Fortepiano von Costantino Mastroprimiano ist am 28. September 2012 bei Brilliant Classics (94379) wiederveröffentlicht worden und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.