Die in Neapel geborene italienische Pianistin Mariangela Vacatello stellt sich im Jubiläumsjahr anlässlich des 150. Geburtstags von Claude Debussy (1862-1918) der besonderen pianistischen und interpretatorischen Herausforderung seiner Musik und legt ein Album vor, das mit den 12 Études den Schwerpunkt auf sein kryptisches, pianistisch anspruchsvolles Spätwerk legt. Technisch schwierige Werke liegen der Vacatello offenbar: Ihr Debütalbum mit Franz Liszts „Études D’Exécution Transcendante“ (Brilliant Classics 94250) lies die Kritiker der deutschen Fachmagazine Piano News und Fono Forum regelrecht ins Schwärmen geraten. Letztere schrieben:
»Ihre Pianistik, erstklassig, wird mit Liszts klavieristischem Hochseilakt locker und wie selbstverständlich fertig. Ihr Ton ist schlank, aber klangvoll rund bis ins Fortissimo, und auch musikalisch macht sie bella figura (…) «.
Nun also Debussys verteufelt schwierige Douze Études, die der Komponist selbst nicht ganz ohne Ironie als »Warnung an Pianisten keine Berufsmusiker zu werden, es sei denn sie verfügen über bemerkenswerte Hände« charakterisierte. Und tatsächlich: Von den ersten Takten wird klar: Mariangela Vacatello muss tatsächlich über bemerkenswerte Hände verfügen, um diese Stücke mit solch einer Geschwindigkeit und gleichzeitiger Präzision, aber auch mit solch einer Ausdrucksstärke spielen zu können. Das haben schon weitaus größere Namen in der Klavierwelt deutlich weniger überzeugend umgesetzt. Mariangela Vacatello spielt die zwölf Studien überaus kraftvoll, energisch, mit bemerkenswerter physischer Präsenz.
Die Études sind weitgehend frei von jener ‚typisch Debussy-artigen‘ impressionistischen Tonmalerei, stattdessen sind es ungewohnt abstrakte, stellenweise sogar didaktische Werke aus Melodie, Harmonie und Rhythmus, ein letzter Höhepunkt in Debussys Œuvre für Klavier. Zwar bricht Debussy nicht völlig mit seiner Ästhetik, aber er fügt seinen Études fast so etwas wie abschließende, in Relation setzende Quintessenz hinzu, nimmt vordergründige Merkmale zurück, stellt andere Elemente deutlicher heraus: Die Étüdes sind die Synthese des pianistischen Universums Debussys, sowohl der eigenen Werke, als auch jener, die ihn als Pianisten und Komponisten ideell (Chopin) und musikalisch (Couperin, Clementi) beeinflusst haben.
Mariangela Vacatello macht in ihrer Interpretation der Études die Distanz, oder besser die Entwicklung zu Debussys Frühwerk hörbar: Sie stellt die technischen Bravourstücke populären Frühwerken wie den Deux Arabesques und L’Isle Joyeuse gegenüber. Dabei belegt sie eine bemerkenswertes Einfühlungsvermögen in die gesamte Klangwelt Debussys: Die Unterschiede zwischen den populären frühen Werken und den späten Études arbeitet sie ebenso präzise heraus, wie deren gemeinsame Schnittmenge mitsamt ihren (ideellen und musikalischen) Referenzen.
Die mit dem Organisten Adriano Falcioni verheiratete Vacatello (Was für ein musikalisches Paar!) hat das Album auf einem 278-Fazioli-Flügel aufgenommen, dessen klarer, perlender Klang nicht nur zu den impressionistischen Frühwerken, sondern auch und gerade zu den Études passt: Statt verklärter „Pastell-Klänge“ erklingen die Studien auf dem italienischen Edelinstrument klar und strukturiert und wirken bemerkenswert modern, geradezu entmystifiziert.
Fazit: Ein bemerkenswerter Beitrag zum Debussy-Jahr, der sich wahrlich nicht hinter zahlreichen namhaften Beiträgen zu verstecken braucht.
Die CD Claude Debussy – 12 Etudes von Mariangela Vacatello ist am 31. August 2012 auf Brilliant Classics (94371) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.
Inhalt:
- 12 Études
- Estampes
- Deux Arabesques
- L’Isle Joyeuse