Die »Sei Solo. a Violino senza Basso accompagnato« (so der italienischsprachige Originaltitel), besser bekannt als die sechs Sonaten und Partiten für Violine solo, BWV 1001-1006 von Johann Sebastian Bach (1685-1750) sind der Prüfstein, ja das regelrechte “Alte Testament” für jeden Violinisten (Das „Neue Testament“ wären dann wohl die zehn Violinsonaten von Ludwig van Beethoven). Der Balanceakt zwischen der technischen Herausforderung der Partiten und Sonaten und der stringenten Interpretation ist die vielleicht schwierigste Aufgabe, der sich ein Virtuose heute stellen kann.
Der Ungar Kristóf Baráti, einer der aufregendsten und technisch versiertesten Violinisten der jungen Generation und Preisträger zahlreicher Wettbewerbe (unter anderem war er Sieger beim Moskauer Paganini-Wettbewerb 2010), hat die Sonaten und Partiten auf seiner Stradivari ursprünglich 2009 für Berlin Classics aufgenommen. Die nun bei Brilliant Classics wiederveröffentlichten Aufnahmen ernteten bereits bei ihrem Debüt großes Kritikerlob und stellten Barátis Spielkultur in die Reihe großer Bach-Interpreten wie Szeryng, Grumiaux und Milstein.
Und de facto ist es tatsächlich so, dass man sich unmittelbar an die Spielkultur der großen Violinisten des 20. Jahrhunderts erinnert fühlt, wenn man Barátis Interpretation anhört. Es ist nicht (nur) die blendende Technik, die er hier voll ausspielen kann, es ist auch und vor allem seine bemerkenswert reife Spielweise, sein Ausdruck, seine Wärme, kurzum, die Spiritualität, mit der er die Sonaten zu Leben erweckt. Bei dieser Aufnahme geht es nicht um akademische Fragen, es geht um die Seele dieser Musik. Ich scheue mich üblicherweise einen so abgenutzten Begriff wie ‚Seele‘ in meinen Besprechungen zu benutzen, doch hier passt er wie bei vielleicht keinem anderen Werkszyklus für ein Solo-Instrument. Bachs Sonaten und Partiten können technisch perfekt gespielt werden und dabei völlig blutleer wirken. Sie können abweisend, verschlossen, technisch oder anstrengend wirken oder sie sind seelenvoll, faszinierend, fesselnd und geradezu magisch hypnotisierend, wie bei der vorliegenden Einspielung Barátis.
Bevor man sich in die Gefilde historisch-informierter Puristen einlässt, die die Neueinspielungen der letzten Jahre dominieren, sollte man sich mit dieser – im besten Sinne des Wortes – konservativen (und alles andere als ‚un-infomierten‘) Einspielung auf Barátis honigweich erklingenden Stradivari mit modernen Saiten und Bogen einen Gefallen tun. Es gibt kaum eine Aufnahme dieser Werke der letzten 30 Jahre, die es in Sachen Spielkultur und Klangschönheit mit Barátis Einspielung aufnehmen könnte.
Die exzellente Produktionstechnik – die Aufnahmen entstanden in der Berliner Siemens-Villa in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandradio Kultur – und die schlichte, aber geschmackvolle Gestaltung des Artworks mit den zweisprachigen
Booklet (Deutsch/Englisch) inklusive von Baráti persönlich verfasster Anmerkungen zu Interpretationsfragen, runden das Bild dieser überaus gelungenen Wiederveröffentlichung ab. Ein echtes Juwel im Brilliant-Classics-Katalog.
Tipp: Von Baráti gibt es auch eine äußerst gelungene Einspielung der Violinsonaten Beethovens, die er mit seiner Landsmännin Klára Würtz letztes Jahr veröffentlicht hat.
Die Doppel CD Sonatas and Partitas for Solo Violin von Kristóf Baráti ist am 1. Februar 2013 auf Brilliant Classics (94667) erschienen und kann im Fachhandel erworben oder bei großen Buch- und CD-Versendern wie → amazon.de und → jpc.de (Links öffnen die jeweilige Produktseite) bestellt werden.
Inhalt:
- Sonate I g-Moll, BWV 1001
- Partita I h-Moll, BWV 1002
- Sonate II a-Moll, BWV 1003
- Partita II d-Moll, BWV 1004
- Sonate III C-Dur, BWV 1005
- Partita III E-Dur, BWV 1006