Academy of St. Martin in the Fields, Neville Marriner: Jules Massenet – Ballet Suites

Gast-Rezension von Rainer Aschemeier, Autor des Musikblogs The Listener. Das Original der Besprechung findet man hier

Jules MassenetJules Massenet (1842-1912)  teilt das gleiche Schicksal wie seine Zeitgenossen Ruggiero Leoncavallo und Pietro Mascagni: Sein heutiger Ruhm gründet sich auf eine einzelne Oper – der Rest des kompositorischen Werks wird praktisch nie aufgeführt.

Vielleicht muss man sagen, dass es im Falle Massenets sogar noch ein wenig schlimmer ist, denn er ist nicht wegen einer ganzen Oper bekannt (am bekanntesten dürfte wohl seine „Werther“-Vertonung sein), sondern wegen eines einzigen, recht kurzen Zwischenspiels aus einer Oper. Gemeint ist natürlich die auf zahllosen Klassik-Samplern verteretene „Meditation“ aus der Oper „Thaïs“. Auch wenn jenes Massenet-Vorzeigehäppchen eine schmalztriefende Paradeschnulze sondergleichen ist, muss man doch zugestehen, dass man sich seinem Charme kaum entziehen kann – ganz gleich, wie sehr man sonst auch der hohen Kunst huldigt.
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Royal Philharmonic Orchestra · Orquesta Filarmónica de México, Enrique Bátiz: Georges Bizet – Complete Orchestral Music

Gast-Rezension von Rainer Aschemeier, ursprünglich im Musikblog The Listener erschienen.

Enrique Bátiz: Georges Bizet - Complete Orchestral MusicDie schlicht und ergreifend absolut BESTE Zusammenstellung der Orchestermusik des für seine Oper „Carmen“ herausragend prominenten Komponisten Georges Bizet (1838–1875) gab es über Jahre hinweg beim Budget- und Rerelease-Label Brilliant Classics zu kaufen.

Nun war diese 3-CD-Box leider in letzter Zeit out of print, und zumindest ich hätte nicht gedacht, dass sich Brilliant Classics dieser schönen Edition noch einmal annehmen würde. Aber wie es manchmal so ist: Unverhofft kommt oft!

Die hier versammelten Aufnahmen des Royal Philharmonic Orchestra sowie des Orquesta Filarmónica de México s. Anm. unter der Leitung der mexikanischen Dirigentenlegende Enrique Bátiz sind samt und sonders Referenzeinspielungen – und zwar sowohl was die künstlerische Qualität angeht als auch die Soundqualität der Einspielungen.
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David Oistrakh: Chamber Music Edition

David Oistrakh - Bild: Bundesarchiv, Bild 183-23447-0001 (Ausschnitt) / Braun / CC-BY-SA 3.0-de, via Wikimedia CommonsDavid Oistrakh (1908-1974) gehörte ohne jeden Zweifel zu den besten Violinisten des vergangenen Jahrhunderts; seine Interpretationen sind auch heute noch, fast 40 Jahre nach seinem Tode, absolut faszinierend. Sie machen dem Hörer in Zeiten von historisch-informierter Aufführungspraxis klar, dass der Wahl der authentischen Instrumente und Saiten, des richtigen Vibrato, ja des richtigen Aufnahmeortes heute etwas zu viel Bedeutung beigemessen wird. Es ist sicher richtig und wichtig, dass wir uns heute Gedanken darüber machen, auf welchen Instrumenten, wie und zu welchen Anlässen Kompositionen ursprünglich komponiert und gespielt wurden, in puncto Interpretationskunst und Persönlichkeit hatten die großen Interpreten der 1930er bis 1960er Jahre der heutigen Musikergeneration Einiges voraus. Bei aller technischen Perfektion und historischer Authentizität bleibt die persönliche Note des Interpreten fast notgedrungen auf der Strecke. Die Musik verliert im Zeitalter der musikwissenschaftlichen Akademisierung einen Großteil ihre Spontanität. Aber eine Komposition ist eben nicht nur das, was der Komponist einst niederschrieb, sondern immer auch das, was der Interpret daraus macht…
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Pieter-Jan Belder: Domenico Scarlatti – Complete Keyboard Sonatas

Domenico ScarlattiDer Komponist Domenico Scarlatti (1685-1757) kam im italienischen Neapel zur Welt und wurde von seinem berühmten, einflussreichen Vater Alessandro Scarlatti ausgebildet. Nachdem er zunächst Italien mit seinem Vater bereiste, verbrachte er den größten Teil seiner Karriere am spanischen und portugiesischen Hof. Dies war für italienische Komponisten des Barocks nichts ungewöhnliches: Italienische Musik und Musiker waren damals in ganz Europa en vogue. Als der vielleicht beste und originellste Cembalist aller Zeiten lag der Schwerpunkt seiner Kompositionen naturgemäß auf den Tasteninstrumenten, für die er insgesamt 555 Sonaten schrieb. Wie kein anderer Komponist seiner Generation verstand es Scarlatti, die regionalen Gepflogenheiten seines jeweiligen Aufenthaltsortes in seine Werke mit einfließen zu lassen, ohne seinen Personalstil dabei aufzugeben. Gleichzeitig entwickelte er Zeit seines Lebens seine Kompositionstechnik weiter und passte sich der veränderten Ästhetik seiner Arbeitgeber und der Epoche, nicht zuletzt auch der sich verändernden Instrumente an. Scarlatti blieb Zeit seines Lebens up-to-date: Sind die frühen Sonaten noch stark von den Rhythmen spanischer Volkstänze in spätbarocker Ausführung geprägt, so weisen seine späten Sonaten bereits alle wesentlichen Stilmerkmale der Frühklassik auf und dienten den nachfolgenden Generationen als Vorlage.

Mehr noch: Scarlattis phantasievolle Ideen und innovative Neuerungen brachten ihm die Bewunderung auch späterer Generationen von Pianisten und Komponisten wie Frédéric Chopin, Johannes Brahms, Béla Bartók, Dmitri Shostakovich, Vladimir Horowitz, Emil Gilels, Arturo Benedetti Michelangeli und Marc-André Hamelin ein.
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Choir of King’s College, Cambridge · Brandenburg Consort, Stephen Cleobury: Johann Sebastian Bach – Johannes-Passion

Johann Sebastian BachWir nähern uns dem Höhepunkt der Oster- und Passionszeit: Mit dem Palmsonntag an diesem Wochenende beginnt die Karwoche, die den Höhepunkt des Kirchenjahres darstellt. Auch in der heutigen weltlichen Gesellschaft haben solche Feiertage eine gewisse symbolische Bedeutung. Auch ohne religiösen Bezug ist dies die Zeit (neben der Advents- und Weihnachtszeit), in der die an geistlicher Musik orienteriten Chöre ein Konzert nach dem anderen geben. Ganz hoch im Kurs stehen dabei die zentralen Werke von Johann Sebastian Bach (1685-1750) zum Osterfest, also neben dem Oster-Oratorium und einigen Oster-Kantaten vor allem die Matthäus-Passion und die Johannes-Passion. Auch die Plattenfirmen nutzen diese Zeit, um zahlreiche Aufnahmen der Bach’schen (und anderen) Passionen auf den Markt zu bringen. Nur wenige Titel haben sich über die Jahre als „Dauerbrenner“ erwiesen. Die 1995 entstandene Aufnahme des Choir of King’s College aus Cambridge mit Brandenburg Consort unter der Leitung von Stephen Cleobury ist seit Jahren einer der absoluten Highlights im Brilliant-Classics-Programm. Nun ist die vielfach hochgelobte in einer schönen Edition auf zwei CDs mit Bonus-DVD wiederveröffentlicht worden.
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Freiburger Vokalensemble · L’Arpa Festante München, Wolfgang Schäfer: Georg Philipp Telemann – Passions-Oratorium · Das selige Erwägen des bitteren Leidens und Sterbens Jesu Christi

Georg Philipp TelemannDer Magdeburger Georg Philipp Telemann (1681-1767) war ein äußerst fleißiger Komponist. Heute geht man von 3600 verzeichneten Werken aus, darunter  1750 Kirchenkantaten, 16 Messen, 23 Psalmen, über 40 Passionen, sechs Oratorien sowie diverse Motetten und andere geistliche Werke. Sein imposantes Œuvre übertrifft das ja nicht gerade kleine Gesamtwerk seines Zeitgenossen und Freundes Johann Sebastian Bach (1685-1750) um ein Vielfaches, allerdings sind viele von Telemanns Kompositionen verschollen.

Georg Philipp Telemann war zu Lebzeiten ein überaus erfolgreicher Komponist, trotzdem (oder gerade deswegen?) steht Telemanns Werk heute (immer noch) im Schatten des großen Thomaskantors. Das mag viele Gründe haben: Der Wandel des Geschmacks im Laufe der Jahrhunderte und eine „systematische Diffamierung“ (so formuliert es die → Wikipedia treffend) im 19. Jahrhundert, bei der man Telemann man mangelnde Ernsthaftigkeit in der sakralen Musik vorwarf, tragen auch heute noch zum verzerrten Telemann-Bild bei. Man verglich sein Werk mit dem ’schweren, ernsthaften Werk‘ Bachs und ignorierte dabei, dass Telemann in seiner Hoch-Phase sich dem empfindsamen Stil zugewandt hatte, der deutlich moderneren Form damals, die weniger kontrapunktische Strenge und mehr Empfindsamkeit zuließ. In der typisch romantischen Idealisierung des „alten Stils“ Bachs, diffamierte man alles, was diesem Ideal nicht zu entsprechen schien. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen die Musikwissenschaftler Telemanns Werk noch einmal objektiv anhand von Originalität und handwerklicher Kunstfertigkeit zu beurteilen.
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